Sukasuka:Band 1 Kapitel 2 Teil 1

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Teil 1: Die schwarze Katze und das bleiche Mädchen[edit]

Eine schwarze Katze rannte. Sie war aber nicht nur am Rennen, sie rannte mit einer unglaublich hohen Geschwindigkeit. Sie wand sich durch die schmalsten Gassen, sprang über die höchsten Mauern und hüpfte anmutig über die Dächer der an die Straße angrenzenden Häuser. Dieses Gebiet, bekannt als der Markt Medlei, war ursprünglich dazu gedacht, einmal im Monat einen speziellen Markt abzuhalten. Über die Zeit, bedingt durch einige ungeplante Bauten und Bauerweiterungen, verwandelte er sich jedoch in ein enormes Labyrinth, so überwältigend, dass es jeden hier durchkommenden Neuankömmling in die Verzweiflung treiben konnte.

Die Katze rannte so schnell sie konnte durch dieses Gebiet. Warum sie rennt, fragt ihr euch? Sie wollte entkommen. Wovor? Vor ihrer Verfolgerin natürlich.

„Waaaarte!“, schrie sie, während sie verzweifelt versuchte, dem kleinen, flinken Teufel hinterherzukommen. Das junge Mädchen konnte sich gerade noch so durch die engsten Gassen quetschen, sich ungeschickt über die höchsten Wände rollen und fiel unter lauten Geräuschen von den Dächern der an die Straße angrenzenden Gebäude (während sie von den Ladenbesitzern angeschrien wurde). Trotz des Kampfes hielt sie ihre Augen fest nach vorne gerichtet, immer darauf bedacht, die schwarze Katze zu fangen.

Das Mädchen trug ein eher langweiliges Outfit: Einen grauen Hut, den sie soweit heruntergezogen hatte, dass man ihre Augen kaum sehen konnte und einen Umhang in der gleichen Farbe. Ausgehend von diesem Umstand kann man sagen, dass sie so wenig wie möglich auffallen wollte, aber ihr Geschrei und die wie verrückt flüchtende Katze machten jeglichen Effekt, den ihre Kleidung hatte, zunichte. „Ich sagte… du sollst… warten…“ Während der Saum ihres Mantels im Wind flatterte, setzte sie ihre Verfolgung fort, wobei sie auf ihrem Weg Staubwolken auslöste und leere Kannen über den Boden kickte. Da sie mit hoher Geschwindigkeit durch die Straßen rannte, zog sie die starrenden Blicke verschiedener Leute auf sich: ein Ork, der verschiedene Waren verkauft, ein schuppiger Reptrace, der einen Teppichladen besitzt, eine Gruppe wolfsähnlicher Lucantropos, die gerade vorbeikommt.

Dann, plötzlich, blieb die Katze stehen.

„Hab dich!“ Das Mädchen machte einen großen Schritt nach vorne, da es sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte. Als es näher kam, beinahe schon in Reichweite, drehte sich die schwarze Katze um und zeigte ein scheinendes, silbernes Objekt in ihrem Mund. Das Mädchen breitete seine Arme aus und ergriff das Gesuchte nach der langen Jagd. Bevor sie jedoch die Möglichkeit hatte, das zu feiern, spürte sie ein seltsames ziehen in ihrem Körper. Dann bemerkte sie es: Unter ihren Füßen war kein Boden mehr.

„Hä?“

Ihr Blick auf den Markt Medlei begann sich zu drehen und verwandelte sich in eine verwirrende Abfolge von zerfließenden Farben. Das Mädchen merkte einige Augenblicke zu spät, dass es, geblendet von der Aussicht darauf, seiner Beute so nahe zu sein, übersehen hatte, dass der Weg, auf dem es lief, auf dem Dach eines Wohnhauses endete.

„Ah…“

Der große blaue Himmel, auf dem einige weiße Wölkchen zu sehen waren, füllte ihren Blick. Direkt darunter sah sie den westlichen, siebten Einkaufsbezirk Briki, dessen Läden sich hauptsächlich auf harte Metalltöpfe und sehr scharfe Küchenmesser spezialisiert hatten. Ausgehend von der Höhe der Gebäude schätzte sie, dass sie noch vier Stockwerke bis zum Aufschlag hatte. Das Mädchen sammelte seine Kraft und konnte einen leichten Glanz um sich herum erzeugen. Diejenigen, die in der Lage sind, den Fluss der Magie zu sehen, würden das Venom in ihrem Körper bemerken, dass es verzweifelt zu sammeln versuchte. Aber egal, was sie mit diesem Venom machen wollte, es war bereits zu spät.

‘Venom‘ ist eine flammenähnliche Substanz. Ein kleiner Funke davon kann nicht viel bewirken, aber ein rasendes Inferno enthält enorme Kraft. Um eine Flamme auf ein solches Level zu bringen, braucht es aber viel Zeit und Energie. Mit anderen Worten, Venom hat nur wenig Nutzen, wenn man damit auf plötzliche Situationen, wie in diesem Fall das Mädchen, reagieren möchte. Die zwei Körper, einer menschlich und einer der einer Katze, setzten ihren Fall fort. Das schwache Licht, das von dem Mädchen ausging, tanzte vergeblich in der Luft, bevor es verschwand. Sie hatte nicht einmal genug Zeit zum Schreien. Das Steinpflaster, das vor einem Moment noch so weit entfernt zu sein schien, näherte sich mit einer beängstigenden Geschwindigkeit. Unbeabsichtigt verstärkte sie ihren Griff um die Katze, welche einen kurzen Schrei ausstieß. Machtlos im Angesicht der Schwerkraft schloss das Mädchen seine Augen und bereitete sich auf den Aufprall vor.


Ein Mädchen fiel aus dem Himmel. Ausgehend von ihrer Figur, war sie wohl noch eine jugendliche, und sie fiel sehr schnell. Wenn das so weiterging, würde sie in Kürze einen brutalen Zusammenstoß mit dem Steinpflaster des Bodens haben, was eine grausame Szene war, die nicht zu einem friedlichen frühen Nachmittag passte. Das war das Erste, was zufällig in Willems Blick kam, als er nach oben sah. Bevor sein Gehirn die Chance hatte, das Bild komplett zu verarbeiten, hatten seine Beine bereits damit begonnen, zu arbeiten, als hätten sie einen eigenen Willen. Er sprintete direkt zu dem Ort, an dem das Mädchen landen würde und breitete seine Arme aus, bereit, sie aufzufangen. Willem merkte jedoch bald, dass er die Wucht, mit der das Mädchen fiel, gewaltig unterschätzt hatte. Seine nutzlosen Arme, die nicht in der Lage waren, der extremen Kraft des Aufpralls zu widerstehen, knickten ein und er brach unter dem Mädchen zusammen, wobei er einen Schrei ausstieß, der dem eines zerquetschten Frosches sehr ähnlich war.

„Au…“ stöhnte er mit dem bisschen Luft, dass er bekam.

„T-Tut mir leid!“

Das Mädchen, dass endlich bemerkt zu haben schien, was passiert war, sprang auf und geriet in Panik.

„Bist du verletzt?! Lebst du noch?! Sind irgendwelche Organe verletzt?! Bist-“

Das verwirrte Mädchen schaffte es, die schwarze Katze, die noch immer in ihren Armen saß, komplett zu vergessen, welche die Chance nutzte, um abzuhauen. Das Mädchen streckte reflexartig die Hand aus, aber alles, was sie damit noch greifen konnte, war Luft; der Katze reichte dieser kurze Moment, um in der wogenden Menge um die beiden herum zu verschwinden. Aus dem Mund des Mädchens kam ein Schrei, halb aus Frustration, das Tier zu verlieren, dass für den ganzen Ärger verantwortlich war, und zur anderen Hälfte aus Überraschung, als sie merkte, was mit ihrem Outfit passiert war. Irgendwo unterwegs, entweder aufgrund des verrückten Rennens, oder wegen ihres Sturzes, hatte sie den Hut, den sie knapp über ihren Augen trug, verloren. Ihr Himmelblaues Haar, das zuvor versteckt war, ergoss sich über ihre Schultern.

„Hey, seht euch mal die an.“

Sie hörte von überall her leises Wispern. Die Fußgänger und die Ladenbesitzer des westlichen, siebten Einkaufsbezirks Briki unterbrachen alle ihre Tätigkeiten, um das Gesicht und die Haare des Mädchens anzustarren. In dieser Gruppe fliegender Inseln, allgemein als Regul Aire bekannt, leben verschiedene Rassen, alle entfernt mit den Visitors verwandt. Natürlich kommt bei dieser Menge an verschiedenen Rassen auch eine Menge verschiedener Erscheinungen. Einige haben Hörner, die aus ihren Köpfen wachsen, andere haben Fänge, die aus ihren Mündern hervorstechen, einige haben Schuppen, die ihren gesamten Körper bedecken und einige haben Gesichter, die nach einem bunten Mischmasch des ganzen aussehen. In diesem Sortiment haben nur wenige Rassen keine Hörner, Fänge, Schuppen oder andere biestähnliche Züge, aber es gibt sie noch immer. Diese Rassen, die kein bestimmtes Merkmal, oder ‘Zeichen‘ haben, an dem man ihre Volksangehörigkeit erkennt, sind weithin als ‘Merkmalslose‘ bekannt.

„Warum ist sie hier?“

„Verdammt, das bringt mir garantiert Pech“

Generell werden die ‘Merkmalslosen‘ von den anderen Rassen gemieden. Laut einer alten Legende hat die Rasse, bekannt als Menschen oder auch Emnetwhyte, Verwüstung über die Oberfläche gebracht und alle anderen Rassen dazu gezwungen, in den Himmel zu fliehen. Da die Emnetwhyte den merkmalslosen Rassen sehr ähnelten, und es nur Sinn ergab, dass die, die ähnlich aussehen, auch ähnlich handeln, waren die Merkmalslosen als unheilvoll und unrein gebrandmarkt. Obwohl Verfolgung aufgrund der Rassenzugehörigkeit kaum vorkommt, war das Mädchen natürlich beschämt, als es in aller Öffentlichkeit als Merkmalslose bloßgestellt wurde.

Es gab noch einen weiteren Punkt, komplett außerhalb der Kontrolle des Mädchen, der die Situation leider noch schlimmer für sie machte. Der vorherige Bürgermeister dieser Stadt, ein perfektes Beispiel eines korrupten Politikers, akzeptierte Bestechungsgelder, heuerte Assassinen an, um politische Gegner zu eliminieren und brachte jeden einzelnen Aspekt der Stadt unter seine strikte Kontrolle. Später verbannte ihn der Zentralkongress von der Insel und seither leben alle wieder glücklich vor sich hin… aber dieser Mayer war ein Kobold. Kobolde, zur Rasse der Oger gehörend, hatten die Gewohnheit, sich unter den Emnetwhyte zu verstecken und sie zur Verdorbenheit zu reizen. Als Ergebnis, entwickelten sie eine Erscheinung, die der der Menschen und anderer Merkmalsloser sehr ähnelt. Daher können die Bewohner dieser Stadt, wann immer sie einen Merkmalslosen sehen, nicht anders, als sich an ihre Wut und ihren Hass gegen den früheren Bürgermeister zu erinnern.

Auch wenn niemand sie direkt verbal oder physisch attackierte, fühlte das Mädchen, wie sich die verurteilenden Blicke der Stadtleute wie Dornen in ihr Gesicht gruben.

„O-Okay, ich werde bald weg sein, also macht euch keine Sorgen…“

Das Mädchen stand auf und versuchte, vor den Blicken zu fliehen, musste aber feststellen, dass sie sich nicht bewegen konnte. Willem, der noch immer am Boden lag, hielt den Fuß des Mädchens fest.

„Du hast etwas vergessen.“ Er hielt seine andere Hand hoch und legte dem Mädchen eine kleine Brosche in die Hand.

„Ah…“

„Diese schwarze Katze hat es verloren. Du hast das hier gesucht, oder?“

Das Mädchen nickte langsam. „D-Danke.“ Noch immer von der ganzen Situation verwirrt, nahm sie die Brosche vorsichtig mit beiden Händen.

„Du bist neu hier?“

Das Mädchen nickte erneut.

„Verstehe… dann kann man wohl nichts machen“, sagte Willem mit einem Seufzer. Er stand schnell auf, zog seinen Mantel aus und legte ihn dem Mädchen über den Kopf, ohne ihr die Zeit zu geben, abzulehnen. Jetzt, da sein Hut nicht mehr da war, konnten die umherstehenden Stadtleute Willems Erscheinung sehen. Wieder ging eine Welle der Aufregung durch die Menge, aber dieses Mal galten die starrenden Blicke Willem.

„Was…“ Das Mädchen schnappte überrascht nach Luft.

Obwohl Willem sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste er sehr genau, wie er aussah. Also verstand er, was die Fußgänger und das Mädchen, die sprachlos vor ihm standen, gerade gesehen hatten. Zersauste, schwarze Haare. Keine Hörner. Keine Fänge. Keine Schuppen.

„Lass uns gehen.“

Er nahm die Hand des Mädchens und ging mit großen Schritten die Straße entlang. Das Mädchen, extrem verwirrt, folgte ihm halb rennend. Bald verließen sie die Straßen und fanden einen nahegelegenen Laden, in dem Willem etwas kaufte, unter dem das Mädchen seinen Kopf verstecken konnte.

„Das sollte reichen.“

Auch, wenn der Hut ein paar Größen zu weit war, sah er an ihr überraschend gut aus. Willem nickte zufrieden und nahm seinen Mantel wieder an sich.

„Äh… was ist das…?“, fragte das Mädchen schüchtern, welches es endlich geschafft hatte, die Situation zu verarbeiten.

„Damit andere nicht sehen, dass du eine Merkmalslose bist, natürlich.“

Obwohl die Merkmalslosen wie Willem und das junge Mädchen in der Öffentlichkeit gemieden wurden, wurden sie nicht wirklich gehasst. Solange man nichts zu Auffälliges machte, ließen einen die meisten in Ruhe. Trotzdem war es besser, unentdeckt durch die Straßen zu laufen.

„Ich weiß nicht, von welcher fliegenden Insel du kommst, aber dieser Ort ist Merkmalslosen gegenüber nicht sonderlich freundlich gesinnt. Mach, was du zu erledigen hast und verschwinde von hier. Der Hafen ist da drüben“, sagte Willem, während er die Straße entlang zeigte. „Wenn du dich nicht sicher fühlst, kann ich dir den Weg zeigen.“

„Ah … nein … das ist es nicht …“, murmelte das Mädchen.

Willem hatte Probleme damit, den Ausdruck im Gesicht des Mädchens zu erkennen. Zusätzlich zu dem Höhenunterschied, bedeckte der übergroße Hut ihr Gesicht, was zwar eine großartige Verkleidung darstellte, aber ihre Kommunikationsfähigkeiten leicht einschränkte.

„Bist du … ein Merkmalsloser?“

„Ja … du hast mein Gesicht doch erst vor Kurzem gesehen“, bestätigte Willem und nickte unter seinem Mantel leicht.

„Warum bist du dann hier? Diese Insel ist, verglichen mit allen anderen in Südwest Regul Aire, den Merkmalslosen am feindlichsten gesinnt, oder?“

„Man kann sich daran gewöhnen, überall zu leben, schätze ich. Es stimmt, dass oftmals verschiedene Unannehmlichkeiten auftreten, aber wenn man sich daran gewöhnt, ist es eigentlich recht gemütlich hier“, antwortete Willem. „Aber wenn du das wusstest, warum bist du dann hierher gekommen?“

„Na ja … weil ...“

Das Mädchen wollte nicht antworten. Willem tat es beinahe leid, dass er gefragt hatte. Er seufzte und lief los, während er dem Mädchen gestikulierte, dass es ihm folgen sollte. Sie bewegte sich nicht.

„Was denn jetzt? Du willst doch nicht alleine herumlaufen, oder?“

„Ä-Äh … vielen Dank … für alles“, sagte das Mädchen mit verkrampfter Stimme, ihr Gesicht halb unter dem riesigen Hut versteckt. „Und entschuldige bitte die ganzen Umstände, die ich gemacht habe … Und … ich bin zwar eigentlich nicht in der Position, um zu fragen … aber … äh …“

Willem kratzte sich am Kopf. „Du willst noch wo hin? Wohin denn?“ Die Miene des Mädchens hob sich bei diesen Worten ­­– wahrscheinlich. Er konnte nur die untere Hälfte ihres Gesichts sehen, also konnte er es nicht wirklich sagen. Wie das Mädchen zuvor bereits festgestellt hatte, war es schwer, sich in den Straßen um dem Markt Medlei herum zu orientieren. Selbst, wenn man genau sehen kann, wohin man gehen will, kann man sich nach einer Serie unvorhergesehener Umwege verlaufen.

Das Paar stand auf der obersten Plattform des Turmes Garakuta, dem höchsten Punkt der Insel, nachdem sie eine längere und ereignisreiche Wanderung durch das Labyrinth hinter sich gebracht hatten. Auch wenn Willem von hier war, mussten sie sich bei einem der öffentlichen Golems, automatisierten Wächtern, die von der Regierung eingesetzt werden, den Weg erfragen. Kreuzungen, bei denen Willem dachte, es gäbe nur drei, hatten plötzlich fünf Abzweigungen. Sie stolperten über einen Frogger, der ein Bad nahm, wurden von einer wildgewordenen Kuh gejagt, entkamen der eben erwähnten Kuh, um gleich darauf in einen Hühnerstall zu fallen und um ihr Leben zu rennen, während sie sich ausgiebig bei dem wütenden Besitzer dieser Hühner entschuldigten.

Um es kurz zu machen, in dieser Stadt irgendwohin zu kommen, ist ein Kampf. Auf der anderen Seite merkte Willem, dass das Mädchen sich während ihrer Abenteuer in den Straßen beruhigte. Sie lachte und gab witzige Kommentare ab, wann immer sie aus einer gefährlichen oder katastrophalen Situation entkamen. Willem wusste nicht, ob das ihre richtige Persönlichkeit war, oder ob sie nur durch die Lächerlichkeit ihrer verschiedensten Zwangslagen beeinflusst wurde, aber er zog diese Seite von ihr der, die sie vorher zeigte, deutlich vor.

Das Mädchen lehnte sich über die dünne Reling am Rand des Turms und seufzte begeistert. Wenn man die Stadt aus dieser Höhe betrachtet, sieht sie aus wie ein schönes, extrem detailliertes Gemälde. Die sich windende Komplexität der Straßen, die sich über das Bild erstrecken, schienen sich aus freiem Willen in verschiedenste Richtungen auszubreiten, so, als wären sie am Leben, und nicht einfach nur vor Jahren von irgendwelchen Konstrukteuren ausgelegt worden.

Wenn sie etwas weiter nach oben schaute, konnte sie einen kleinen Hafen sehen. Am äußersten Ende der Insel gelegen, diente er als Eingang zur Insel und bot alle nötigen Einrichtungen für Luftschiffe, um zu landen und wieder abzuheben, Hinter dem mit Metall beschlagenen Hafen lag der weite blaue Himmel, der sich in alle Richtungen so weit erstreckte, wie das Auge sehen konnte.

Dieser Himmel, in dem über hundert gigantische Steinplatten, sogenannte ‘schwebende Inseln‘, im Wind wanderten, bietet eine Zuflucht, in der man leben kann. Das Land, von dem das Leben ursprünglich stammt, liegt weit, weit darunter, für immer außer Reichweite.

„Stimmt irgendetwas nicht?“, fragte das Mädchen und drehte sich zu Willem um.

„Oh, nichts, ich bewundere nur die Aussicht“, antwortete er mit seinem normalen, warmen Lächeln und schüttelte den Kopf.

Das Mädchen lachte kurz, überprüfte, ob sich sonst noch jemand auf der Plattform befand, und nahm ihren Hut ab. Ihr Haar, welches das gleiche Blau wie der Himmel um sie herum hatte, wehte im Wind.

„Wolltest du deswegen hier her kommen? Wegen der Aussicht?“

„Ja. Ich habe die Inseln schon von höheren, oder auch weiter entfernten Orten gesehen, aber ich hatte noch nie die Möglichkeit, von der Mitte einer Stadt aus darauf hinab zu blicken.“

Sie muss auf einer Insel nahe der Grenze liegen, dachte Willem.

„Ich dachte, es wäre schön, das einmal auszuprobieren“. Das Mädchen schaute noch mal in den endlosen blauen Himmel, dann sprach sie weiter: „Hmm … mein Traum ist wahrgeworden und ich habe einige schöne Erinnerungen gemacht. Ich denke nicht, dass ich noch irgendetwas zu bereuen habe.“

Sie sagt einige ziemlich bedrohlich klingende Dinge

„Danke für Heute. Und das meine ich wirklich so“, sprach das Mädchen weiter. „Ich habe viele tolle Dinge gesehen, und das alles dank dir.“

„Ich denke, du übertreibst da etwas“, Willem kratzte sich am Kopf. Für ihn fühlten sich die Ereignisse des Tages irgendwie so an, als hätte er am Rand der Straße eine seltsame Katze gefunden und auf einen Spaziergang mitgenommen. Er hatte einfach etwas Freizeit, also tat er zur Abwechslung mal etwas anderes. Es fühlte sich seltsam an, dass sich jemand dafür bedankte. „Also … ist das deine Eskorte?“

„Was?“

Willem nickte in Richtung hinter dem Mädchen. Sie drehte sich um und stieß einen kurzen Schrei aus, während sich auf ihrem Gesicht eine Mischung aus Überraschung und Verwirrung spiegelten. Dort stand ein großgewachsener, bedrohlich dreinblickender Reptrace, den das Mädchen bisher nicht bemerkt hatte.

Verglichen mit anderen Rassen sind die mit schuppen überzogenen Reptrace dafür bekannt, dass ihre Körper stark variieren. Während der durchschnittliche Reptrace ungefähr genauso groß ist wie die anderen Rassen, gibt es auch solche, die nur so groß wie ein kleines Kind werden, aber auch das genaue Gegenteil, bei dem sie so groß werden, dass es fast schon wieder lustig ist.

Der Reptrace, der nun vor ihnen stand, gehörte offensichtlich zur letzteren Gruppe. Einfach nur dadurch, dass er mit seiner Militärsuniform vor ihnen stand, versprühte er bereits eine einschüchternde Aura.

„-Ich denke schon. Ich hatte eine schöne Zeit … es war fast wie ein Traum. Aber jetzt muss ich aufwachen“, sagte das Mädchen in einem bittersüßen Ton. Sie drehte sich um, und bevor sie an die Seite des Reptrace rannte, sagte sie noch einen letzten Satz zu Willem: „Es gibt nur noch eines, worum ich dich bitten will… bitte vergiss mich.“

Was? Willem stand dort, unfähig, Worte zu finden, mit denen er darauf hätte antworten können. Er wusste, dass das Mädchen offensichtlich einige spezielle Umstände hatte. Aber von dem, was er erkennen konnte, schienen diese wohl keine Sorte von Leid mit sich zu bringen. In dem Fall, gab es für Willem keinen Grund, sich einzumischen. Wenn der ursprüngliche Besitzer der Katze auftaucht, ist es nicht mehr nötig, sie auf ihrem Ausflug zu begleiten. Das junge Mädchen drehte sich ein letztes Mal um und senkte den Kopf in einer dankenden Geste, dann verschwand es an der Seite des Reptrace.

„Wenn sie Seite an Seite laufen, sticht der Höhenunterschied wirklich heraus“, murmelte Willem, als er ihnen nachsah.

Weit entfernt im Hafen, kündigte das Schlagen einer Glocke den Beginn der Abendstunden an.

„Hmpf… ist es schon so spät?“ Er hatte schon sehr bald eine Verabredung mit jemandem. Willem blickte noch einmal auf die bildartigen Straßen und den alles umfassenden blauen Himmel, dann machte er sich wieder einmal auf in die geschäftige Stadt.


Fünf-hundert-sechs-und-zwanzig Jahre sind vergangen, seit die Emnetwhyte ausgerottet wurden. Es gibt keine verlässlichen Informationen mehr, was denn eigentlich auf der Oberfläche passierte. Geschichtsbücher enthalten verschiedene Berichte darüber, und alle behaupten, sie wären wahr, aber niemand weiß, ob überhaupt eines davon auch nur einen kleinen Teil Wahrheit enthält; sie alle könnten nur wilde Spekulationen der Historiker sein, die die Ereignisse, die stattfanden, nicht einmal miterlebt hatten. Doch über die vielen Berichte verteilt, gibt es einiges, was immer gleich ist:

Als Erstes, die Emnetwhyte, oder auch Menschen, hatten ein schweres Leben. Über viele Jahre hinweg waren sie gediehen, hatten stark an Zahl zugelegt und sich über das Land verteilt. Doch später hätte das ihr Untergang sein sollen, da ihre weite Verbreitung sie für Angriffe durch andere Rassen verletzbar machte. Ständig wurden sie von den Monströsen bedroht, einem kollektiven Namen für verschiedene wilde Kreaturen. Die Dämonen und ihr König versuchten, die Menschen auf den Pfad der Korruption zu ziehen. Gemetzel mit den Elfen und den Orks entstanden oft aufgrund von Streitigkeiten wegen der Territorien. Auch von innerhalb drohte Gefahr: Ganze Gruppen von Menschen wurden verflucht und zu Ogern, die sich dann gegen ihre ehemalige Rasse stellten. Sehr selten mussten sich die Menschen auch Angriffen ihrer mächtigsten Feinde erwehren: den Visitors.

Zusätzlich dazu waren die Emnetwhytes eine der schwächsten Rassen. Sie hatten keine Schuppen, Fänge, Klauen oder Flügel, und waren auch nicht in der Lage, mächtige Magie zu verwenden. Selbst ihre schnelle Vermehrung, eine ihrer stärkeren Seiten, war nichts im Vergleich zu der der Orks. Trotz allem herrschten die Menschen aus irgendeinem Grund über das Land.

Laut einer Theorie, kam ein Großteil ihrer militärischen Stärke von einer Gruppe Freiwilliger, die man Abenteurer nannte und der Allianz, einer Organisation, die die Aktivitäten der Abenteurer koordinierte und sie unterstützte. Sie erhöhten ihre Effizienz in Gruppenkämpfen dadurch, dass sie Soldaten in verschiedene Kategorien einteilten und verschiedene Talente zuwiesen, um das Training besser gestalten zu können. Sie schafften es sogar, magische Fähigkeiten, die unter den Menschen sehr selten waren, in spezielle Amulette zu versiegeln, die sie Talismane nannten, die daraufhin massenproduziert werden konnten. Mit diesen verschiedenen Methoden des Verbesserns entwickelten die Abenteurer im Vergleich zu normalen Menschen eine beeindruckende Kampfkraft.

Eine weitere Theorie erwähnt die Existenz einer anderen Gruppe von Soldaten, genannt die Helden, die nicht zu den Abenteurern gehörten. Diese Helden verwandelten das Schicksal und ihre Bestimmung in ihren Seelen in eine enorme, beinahe unlimitierte Kraft. Das einzige Problem war, dass nur sehr wenige ‘Auserwählte‘ zu Helden werden konnten.

Wieder eine andere Theorie besagt, dass sich die Emnetwhytes auf eine spezielle Art von Schwert verließen, die man ‘Karillons‘ nannte. Diese Waffen enthielten dutzende Talismane, deren verschiedene Kräfte einen komplexen, wechselseitigen Interferenzeffekt erzeugten, was ihnen unvergleichlich zerstörerische Kraft verlieh.

Natürlich hören sich alle diese Theorien extrem absurd an. Und es wäre schwer, jemanden zu finden, der wirklich daran glaubt. Doch der Fakt, dass die untalentierten Emnetwhyte irgendeine Methode hatten, um selbst die stärksten Feinde zu besiegen, bleibt. Bedenkt man diesen, ist anzunehmen, dass zumindest ein paar dieser Theorien wahr sind.

Vor fünf-hundert-sieben-und-zwanzig Jahren tauchten ‘Sie‘ in der königlichen Burg des Heiligen Kaiserreiches, dem zentralen Punkt des Gebietes der Menschen, auf. Betrachtet man, was sie waren, oder eher, was sie sind, findet man in den Büchern wieder verschiedene Theorien. Beispielsweise waren sie die Materialisierung eines Fluches, der unter den Menschen entstand. Oder, dass eine geheime Massenvernichtungswaffe in der Entwicklung außer Kontrolle geriet. Oder, dass, aus irgendeinem Grund sich ein Eingang zur Hölle öffnete und seinen Inhalt in die Welt entließ. Oder, dass sich ein Selbstreinigungsmechanismus, der seit der Erschaffung der Welt im Schlaf lag, aktiviert hatte.

Nach ihrem Erscheinen schmissen viele mit Ideen um sich, aber nur wenige wollten herausfinden, welche Theorien auch nur einen Hauch Wahrheit enthielten. Ihrer Meinung nach ging die Welt auf das Ende zu und keine Theorie konnte das ändern. Selbst wenn die Theorie ‘eine einsame Tomate in einem Kartoffelfeld hielt die Einsamkeit nicht mehr aus und durchlief die Superevolution‘ stimmte, hätte es keine Auswirkung auf ihre wenigen, noch verbliebenen Tage. Alles, was zählte, war, dass sie Eindringlinge waren. Sie waren Mörder. Sie symbolisierten die Essenz der Unvernunft und Ungerechtigkeit. In der Form von siebzehn verschiedenen Spezies von Biestern, begannen sie, die Welt mit einer erschreckenden Geschwindigkeit zu verschlingen. Die Emnetwhyte konnten nichts tun, um gegen diese Bedrohung standzuhalten. In nur wenigen Tagen verschwanden zwei ganze Königreiche von der Karte. Nach einer Woche waren fünf Länder, vier Inseln und zwei Ozeane ausgelöscht. Nach einer weiteren Woche hatte eine Karte keinerlei Bedeutung mehr. Es heißt, zwischen ihrem Erscheinen und der Auslöschung der Menschheit lag nicht einmal ein Jahr.


Doch die Biester hörten nicht auf, nachdem sie die Emnetwhyte vernichtet hatten. Die Elfen kämpften, um ihre weiten Wälder zu beschützen und starben. Die Moleian kämpften, um ihre geheiligten Berge zu beschützen und starben. Die Drachen kämpften, um ihre Würde als höchste Rasse auf der Erde aufrecht zu erhalten und starben.

Alles auf der Oberfläche der Erde verschwand einfach, als wäre es ein grässlicher Witz. Bald realisierten die noch verbliebenen Rassen: Es gab für sie hier keine Zukunft. Wenn sie leben wollten, mussten sie in ein weit entferntes Land flüchten. Zu einem Ort, an dem die brutalen Fänge der Biester sie nicht erreichen konnten. In den Himmel.