Kapitel 03 - Der rote Regenschirm

From Baka-Tsuki
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Kapitel 3: Der rote Regenschirm[edit]

Du stehst in einem düsteren Licht.

Hinter dir befindet sich die Tür, die unnatürlich über dem Boden schwebt. Außer dir und der Tür ist alles in grenzenlose Dunkelheit getränkt.

Es erinnert dich an eine späte Winternacht, kurz nach dem es aufgehört hat zu regnen. Still und Feucht, keine Menschenseele in Sicht.

Es erinnert an den Moment, wenn du nach einem harten Tag in der Schule oder der Arbeit nach Hause kommst, und ein wenig die Ruhe genießen willst. Deine Umgebung hätte aus so einem Moment entsprungen sein können, einem Moment, in dem es nur Freude und Freude, und Frieden und Frieden gab, wo Angst eine Krankheit hätte sein können.

Du bist ein wenig verwirrt.

Du fängst an, um die Tür herumzulaufen, stets darauf achtend, sie noch in deinem Blickwinkel zu behalten, und dich nicht zu weit von ihr zu entfernen, so als würde ein Seil dich an ihr festhalten. Fast als würdest du dich versichern, dass sie nicht plötzlich hinter deinem Rücken verschwindet. Du bist nur vorsichtig. Oder ist das vielleicht nur dumm?

Aber es passiert nichts Außergewöhnliches. Die Landschaft verändert sich nicht, und du nimmst keine Bewegungen wahr – bis auf die deines eigenen Körpers.

Erleichtert, oder vielleicht auf der Suche nach einer Änderung, wagst du dich weiter weg.

In dieser Dunkelheit, oder einen Orientierungspunkt, der dir helfen könnte deine Orientierung beizubehalten, entscheidest du dich, die Tür als Anhaltspunkt zu verwenden, und bewegst dich in einer geraden Linie von ihr Weg. Du bewegst dich weiter und weiter, während deine Schuhe mit Matsch befleckt wurden, und deine Zöpfe hin und her baumeln.

Vor deinen Füßen bemerkst du von Zeit zu Zeit Pfützen. Es muss also wirklich vor kurzem geregnet haben. Du läufst besonnen weiter, und kümmerst dich auch nicht, um den Schlamm, der durch deine Socken weicht, und deine Füße beschmutzt.

Die Pfützen kreisen – was ein Hinweis auf einen tieferen Ort war – so als wüssten sie, was die Zukunft für dich bereithält. Als verspräche dir die schöne klare Oberfläche Glück und Erfolg.

Oder die schlammige, die eine dunkle Vorahnung von harten Zeiten enthielt.

Jeder würde sagen, es sei unangenehm in Pfützen zu treten. Jeder weiß, dass schmutziges Wasser voll ist von Bakterien, und es macht deine Schuhe an noch nass. Es lädt das Unglück nahezu ein. Wenn das Wasser allerdings klar ist, dann ist es eher wie eine Reinigung deines Herzens.

Als würde sie immer noch versuchen, dein Schicksal zu bestimmen, verändert die Pfütze ihre Oberflache, von rein zu schmutzig, von schmutzig zu rein. In der bebenden Reflektion siehst du eine schwere Wolke, wie die am Himmel über dem Balkon des kleinen Raums, im Versuch den Mondschein aufzusaugen.

Ohne zu zögern läufst du über die Pfützen. Jedes Mal, wenn du es tust, wird dein Körper vom Wasser reflektiert. Mit jedem Schritt fängt die Wasseroberfläche an kleine Wellen zu schlagen, die das Bild verzerren. Selbst als du die Pfütze zurücklässt, verbleiben diese Wellen, und kreieren unheimliche Gestalten.

Deine Spiegelung wird immer mehr entstellt, so als wäre sie aus feuchtem Lehm, und formt sich selbst in ein paar vornehm aussehender Erwachsener. Sie laufen aneinander vorbei, ohne dich zu beachten, und starren sich nur an, wie Pärchen, im Streit. Das entstellte Bild von dir, dieses Pärchen, beginnt sich gegenseitig anzugiften.

Aber dir fällt das gar nicht auf.

Du siehst es nicht. Du fühlst es nicht. Du bist dir dessen gar nicht bewusst.

Aber naja, so bist du nun einmal …

Sie sehen aus wie ein verheiratetes. Eines, dass sich die wildesten Sachen an den Kopf werfen kann, ohne sich zurückzuhalten. Jedes Mal, wenn die Wellen auseinandergehen, werden sie immer weiter und weiter verzerrt. Bis sich ihre wabbelnden Gliedmaßen dehnen, ihr Gesicht verreißt, und sie aussehen wie Monster.

Aber du beachtest sie gar nicht, und läufst immer weiter weg.

Wie ein Spiegel reflektiert die Oberfläche des Wassers alles gleich. Aber in Wirklichkeit ist die andere Seite eines Spiegels eine gänzlich andere Welt. Aber du ignorierst diese Tatsache, indem du einfach deine Augen schließt, nicht mehr zuhörst und weitergehst.

Wann fingen Menschen an sich in Spiegeln anzugucken? Eine interessante Frage. Wann fingen sie an sich über solche Dinge wie ihre Frisur, oder ihre Hautfarbe Gedanken zu machen, was zum Erfinden von Schminke führte, mit der sie ihre Gesichter bedecken? Sie schauen sich an, und denken sich, oh, da ist etwas, was fehlt, oh da ist etwas, was ich gar nicht gebrauchen kann. Und dann überlegen sie, wie sie diese Dinge korrigieren. Und während diese „Fehler“ sich weiteraufstapeln, beginnen die Leute langsam sich in eine andere Person zu verwandeln.

Manchmal ist es eine Wahl, die nach tiefen Überlegungen getroffen wurde, manchmal eine Wahl, die sehr spontan getroffen wurde. Manchmal war es aber auch nicht ihre eigene Wahl.

Aber egal was dabei rauskommt, letzten Endes verdanken die Leute es ihren Spiegeln, dass sie sich selbst von außen betrachten können.

Du bist da allerdings anders.

Du läufst schnell weiter, und tust dabei so, als könntest du dich selbst nicht sehen. Aber etwas in der Nähe deiner Füße erhascht plötzlich deine Aufmerksamkeit, was deine Schritte verlangsamt bis zum Halt.

Neugierig fegst du die Haare aus deinen Augen, und gehst in die Hocke, um da Ding zu begutachten, über das du fast gestolpert wärst.

Es ist ein kleiner Regenschirm.

Der Schirm sticht ziemlich aus seiner tristen verregneten Umgebung raus. Du nimmst ihn ohne ein Zögern, und öffnest ihn entschlossen.

Da man Regenschirme öffnet, wenn es regnet, war das was du getan hast lächerlich sinnlos. Jedoch, als hätte sich das Prinzip der Kausalität umgekehrt – als wärst du Alice die aus dem Loch rausfliegt – fängt es ohne Vorwarnung an den Regen wie aus Kübeln zu schütten.

Der Regen kommt mit so einer Kraft runtergerasselt, als würde er versuchen irgendwen auf den Boden zu drücken. Du hältst den Schirm näher an deinen Körper, um nicht nass zu werden.

Der Regen ist ein Symbol für Segen. Er fällt vom Himmel wie Tränen. Tränen absorbieren Trauer, wie ein Schwamm, und ziehen diese dann aus dem Körper. Sie erfüllen eine positive Funktion – als wäre ihre Aufgabe deine Zukunft zu verschönern.

Und unter diesem Strom, ist die Pfütze an deinen Füßen wie ein Teich aus Angst, der sich schnell vergrößert bis er überfüllt wird, und dann langsam verschwimmt. Das Pärchen darin verschmolz, zusammen mit ihrem undurchschaubaren bedeutungslosen Gezeter, mit den Wellen.

Du folgst weiterhin dem Pfad, für den du dich entschieden hast, ohne eine Ahnung zu haben, wohin er führt, ohne dich zu sorgen, was du findest, wenn du an seinem Ziel bist. Ein unangenehmes Gefühl breitet sich in deiner Brust aus, während du den Griff des Regenschirms in deinen Händen drehst.


Ohne das dich jemand hören könnte, summst du eine fröhliche Melodie.


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